Offener Brief gegen Mittel­stre­cken­waffen

“Friedensfähig”-Kampagne wendet sich an Kandi­die­rende zur Bundes­tagswahl
Offener Brief gegen Mittelstreckenwaffen veröffentlicht

In einem Offenen Brief mit mehr als 30 promi­nenten Erstunterzeichner*innen – darunter u.a. die Theologin Margot Käßmann, Umwelt­for­scher Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker sowie die Schrift­stel­lerin Daniela Dahn, wendet sich die vom Aktions­bündnis “atomwaffenfrei.jetzt” initi­ierte Kampagne “Friedens­fähig statt erstschlag­fähig. Für ein Europa ohne Mittel­stre­cken­waffen!” an die Kandi­die­renden zur Bundes­tagswahl. Wir fordern die Politiker*innen auf, sich gegen die Statio­nierung von US-Mittel­stre­cken­waffen auszu­sprechen und für neue Verhand­lungen über Rüstungs­kon­trolle und die Abrüstung aller Mittel­stre­cken­waffen in Europa einzu­setzen.

 

24. Januar 2025

Sehr geehrte Damen und Herren,

erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges sollen ab 2026 wieder US-Mittel­stre­cken­waffen nach Deutschland kommen. Am 10. Juli 2024 gaben die US-Regierung und die deutsche Bundes­re­gierung bekannt, US-Raketen vom Typ SM‑6, Tomahawk-Marsch­flug­körper und Dark-Eagle-Hyper­schall­waffen statio­nieren zu wollen. Sie unter­liegen der Kontrolle der 2. Multi Domain Task Force der US-Streit­kräfte, die bereits seit 2021 in Wiesbaden aufgebaut wird. Die Waffen sind somit Teil einer Strategie der USA (Conven­tional Prompt Global Strike), um binnen kürzester Zeit jeden Ort der Welt angreifen zu können. Die in Deutschland statio­nierten Waffen decken fast den kompletten europäi­schen Teil Russlands ab. Aufge­stellt werden sie mögli­cher­weise am Standort der 41. US-Feldar­til­lerie-Brigade im oberpfäl­zi­schen Grafenwöhr.

Zusätzlich wurde bekannt, dass Deutschland mit weiteren europäi­schen Staaten die Entwicklung eigener Mittel­stre­cken­waffen im Rahmen des Projektes ELSA vereinbart hat.

Es ist einer Demokratie nicht würdig, dass die weitrei­chende Entscheidung zur Stationier-ung der US-Mittel­stre­cken­waffen in Deutschland ohne jede öffent­liche Begründung oder Debatte getroffen wurde. Der Bundestag hatte keinerlei Mitsprache! Es ist zudem nicht nachvoll­ziehbar, warum die Statio­nierung nicht im Rahmen der NATO, sondern bilateral zwischen den USA und Deutschland vereinbart wurde.In der Folge ist Deutschland allei­niges Ziel eines möglichen Gegen­schlages. Die Verfü­gungs­gewalt über die Waffen liegt bislang ausschließlich bei den USA. Ebenso kritik­würdig ist, dass die Ankün­digung – anders als der NATO-Doppel­be­schluss von 1979 – kein Verhand­lungs­an­gebot an Russland über den beidsei­tigen Verzicht auf derartige Waffen enthält.

Die Kündigung des INF-Vertrages durch US-Präsident Donald Trump 2019 hat eine gefähr­liche Regelungs­lücke hinter­lassen und ein neues Wettrüsten mit Mittel­stre­cken­waffen eröffnet. Russlands Angriffs­krieg auf die Ukraine hat die Aufrüstung in Ost und West befeuert und gefährdet den Frieden in ganz Europa.

Die Ukraine setzt mittler­weile weitrei­chende Raketen und Marsch­flug­körper gegen russische Ziele ein. Moskau hat daraufhin im November 2024 bei Angriffen auf das ukrai­nische Dnipro erstmals eine neu entwi­ckelte Mittel­stre­cken­rakete einge­setzt und mit weiteren Einsätzen gedroht. Diese unver­ant­wort­liche Eskalation verun­si­chert die Menschen auch in Deutschland und stärkt jene, die eine vermeint­liche „Fähig­keits­lücke“ der NATO mit landge­stützten Mittel­stre­cken­waffen schließen wollen.

Exper­tinnen und Experten wie Oberst a.D. Wolfgang Richter zeigen jedoch, dass es nicht sinnvoll ist, einzelne Waffen­gat­tungen gegen­ein­ander aufzu­rechnen. Mehrere aktuelle Studien weisen nach, dass die NATO Russland militä­risch in nahezu allen Bereichen klar überlegen ist und über zahlreiche weitrei­chende Waffen­systeme auf U‑Booten, Schiffen und Flugzeugen verfügt. Die landge­stützten US-Mittel­stre­cken­waffen in Deutschland würden in erster Linie ein gefähr­liches Wettrüsten befeuern und das Kriegs­risiko auch in Deutschland deutlich erhöhen.

Wir rufen Sie, sehr geehrte Kandi­die­rende zur Bundes­tagswahl 2025, daher auf:

Sorgen Sie dafür, dass keine US-Mittel­stre­cken­waffen in Deutschland statio­niert werden! Lassen Sie außerdem nicht zu, dass Deutschland sich an der Entwicklung eigener europäi­scher Mittel­stre­cken­waffen beteiligt!

Die Statio­nierung von schnellen, präzisen und schwer abzufan­genden Mittel­stre­cken­waffen in Deutschland führt dazu, dass die USA binnen Minuten – also nahezu ohne Vorwarnzeit – strate­gische Ziele wie Raketen­silos, Komman­do­zen­tralen, Entschei­dungs­zentren und auch Frühwarn­systeme in Russland zerstören können. Russland wird darauf reagieren und seiner­seits Waffen mit vergleich­baren Fähig­keiten auf Deutschland richten. Die Folge wäre nicht mehr Sicherheit, sondern eine gefähr­liche Insta­bi­lität, in der ein einziger Irrtum oder Fehler ausreicht, um die Welt mitten in einen Atomkrieg zu führen. Das kann und darf nicht in unserem Interesse sein!

Setzen Sie sich mit Nachdruck für neue Verhand­lungen über Rüstungs­kon­trolle und die Abrüstung aller Mittel­stre­cken­waffen ein (multi­la­te­rales Folge­ab­kommen zum INF-Vertrag) und bekennen Sie sich zum mittel­fris­tigen Ziel einer neuen Friedens­ordnung in Europa!

Die europäische Geschichte zeigt, dass Rüstungs­kon­troll­ver­träge und Struk­turen der gemein­samen Sicherheit und Zusam­men­arbeit der einzige Weg sind, um Konfron­ta­tionen ohne Blutver­gießen beizu­legen und Aufrüs­tungs­spi­ralen zu durch­brechen. Der INF-Vertrag hatte die Vernichtung und das Verbot einer ganzen Waffen­gattung in der Sowjet­union und den USA zur Folge. Er läutete so das Ende des Kalten Krieges und eine Epoche gemein­samer Sicherheit in Europa ein. Deutschland hat der Diplo­matie der 1980er-Jahre viel zu verdanken. Daher muss gerade jetzt das Signal für neue Initia­tiven der Rüstungs­kon­trolle und des Dialogs aus Berlin kommen!

Unter­zeich­nende                                                             

PD Dr. Johannes Becker, Friedens- und Konflikt­for­scher

Prof. Dr. Hanne-Margret Birckenbach, Friedens­for­scherin

Prof. Dr. Karl Hans Bläsius, Infor­ma­tiker mit Fachgebiet KI

Prof. Dr. Peter Brandt, Histo­riker und Publizist

Prof. Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh, Bischof i. R., Vorsit­zender der AGDF

Daniela Dahn, Schrift­stel­lerin

Prof. Dr. Frank Deppe, Politik­wis­sen­schaftler

Prof. Dr. Alex Glaser, Physiker, Princeton University

Jürgen Grässlin, Rüstungs­kri­tiker und Buchautor

Antje Heider-Rottwilm, OKRin. i. R., Vorsit­zende von Church and Peace

Stefan Hügel, IT-Berater, Vorsit­zender FIfF e.V.

Dr. Hannes Jung, Physiker, DESY emeritus, Science4Peace

Dr. Margot Käßmann, Theologin

Sandra Klaft, Projekt­lei­terin Peace for Future

Prof. Dr. Hans-Jörg Kreowski, Infor­ma­tiker, Bremen

Dr. Matthias Kreplin, Mitglied der Kirchen­leitung der Evange­li­schen Landes­kirche in Baden

Dr. Moritz Kütt, Physiker, IFSH

Ruth Misselwitz, Pfarrerin i.R.

Prof. Dr. Klaus Moegling, Politik­wis­sen­schaftler

Dr. Max Mutschler, Friedens- und Konflikt­for­scher, BICC

Rainer Rehak, Infor­ma­tiker und Philosoph, FIfF

Clemens Ronne­feldt, Referent für Friedens­fragen Versöh­nungsbund

Prof. Dr. Werner Ruf, Politik­wis­sen­schaftler und Friedens­for­scher

Prof. Dr. Jürgen Scheffran, Klima- und Friedens­for­scher, Univer­sität Hamburg

David Scheuing, Verantw. Redakteur Wissen­schaft und Frieden

Hans von Sponeck, Beigeord­neter UNO-General-Sekretär a. D.

Peter Vonnahme, Richter am Bayeri­schen Verwal­tungs­ge­richtshof i. R.

Peter Wahl, Autor, Attac-Mitbe­gründer

Dr. Gregor Walter-Drop, Politik­wis­sen­schaftler

Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Umwelt­for­scher

Prof. Dr. Werner Winzerling,Infor­ma­tiker, Magdeburg

Dr. Theodor Ziegler, Religi­ons­päd­agoge

Dr. Michaela Zöhrer, Friedens­for­scherin

Andreas Zumach, Journalist

Dieser Brief wurde organi­siert und wird unter­stützt von den mehr als 45 Mitglieds­organisationen der Kampagne „Friedens­fähig statt
erstschlag­fähig. Für ein Europa ohne Mittel­stre­cken­waffen!“. Mehr Infos: friedensfaehig.de