„A House of Dynamite“ – Wie realis­tisch ist der neue Netflix-Film?

Der neue Netflix-Film „A House of Dynamite“ dreht sich um die gefähr­liche Dynamik, die bei einem Atomwaf­fen­an­griff entsteht. Auslöser ist eine Rakete, die im Pazifik von einem unbekannten Akteur gestartet wurde und auf die USA zufliegt. Die Regierung, der Präsident und das Militär müssen binnen Minuten entscheiden, wie sie auf die Bedrohung reagieren – abwarten, ob die Rakete wirklich explo­diert, auf die Wirksamkeit von Raketen­abwehr vertrauen oder einen Gegen­an­griff führen? Dabei macht der Film deutlich, wie schnell durch Atomwaffen eine unkon­trol­lierbare Ketten­re­aktion ausgelöst werden kann, die die ganze Welt bedroht.

Wie nah ist „A House of Dynamite“ an der Realität? Wir beant­worten die wichtigsten Fragen:

1. Wie viele Atomwaffen gibt es und welche Länder verfügen darüber?

Neun Staaten besitzen weltweit mehr als 12.000 Atomwaffen. Etwa 2.100 davon befinden sich in höchster Alarm­be­reit­schaft – sie sind auf Inter­kon­ti­nen­tal­ra­keten montiert und können in kürzester Zeit gestartet werden. Die mit Abstand größten Atommächte sind Russland und die USA, gefolgt von China, Frank­reich, Großbri­tannien, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea. Im Rahmen einer “Nuklearen Teilhabe” sind Atomwaffen der USA auch in Deutschland, Belgien, den Nieder­landen, Italien und der Türkei sowie russische Atomwaffen in Belarus gelagert. Im Ernstfall sollen sie von dortigen Streit­kräften – in Deutschland von der Bundeswehr – einge­setzt werden.

 

2. Ist das Szenario in „A House of Dynamite“ realis­tisch? Wie würden die USA auf einen Angriff reagieren?

Das Szenario des Films ist durchaus realis­tisch. Sollten die Frühwarn­systeme einen Angriff auf die USA (oder ihre Bündnis­partner) melden, sieht die „Launch-on-warning“-Strategie vor, dass die USA sofort mit dem Abfeuern von Inter­kon­ti­nen­tal­ra­keten reagieren. Diese Option behalten sich die USA auch heute noch vor. Sofort heißt, die eigenen Raketen werden gestartet, bevor die gegne­ri­schen einge­schlagen haben und damit der Angriff eine sichere Tatsache ist. Stellt sich die Warnung dann aller­dings als Irrtum heraus – etwa weil ein Sensor ein fehler­haftes Signal anzeigt, ein Compu­ter­fehler vorliegt oder schlichtweg ein Mensch die Daten auf dem Schirm falsch inter­pre­tiert – bedeutet der Abschuss der eigenen Raketen, dass nun der Gegner einen realen Atomra­ke­ten­an­griff erkennt und darauf mit dem Zünden seiner Atomra­keten reagiert.

Die Drohung mit einem massiven Gegen­schlag im Angriffsfall ist ein besonders riskanter Teil der „nuklearen Abschre­ckung“. Nukleare Abschre­ckung bedeutet: Staaten drohen sich mit vollständiger Vernichtung, um einen Angriff zu verhindern. Da aller­dings beide Seiten diese Strategie verfolgen, ist nicht nur im Falle eines Angriffs, sondern auch in einem Fehlerfall mit der atomaren Vernichtung beider Seiten zu rechnen. Der berühm­teste Fall eines solchen Fehlers im Frühwarn­system ereignete sich im Jahr 1983, als nur das eigen­mächtige und verant­wor­tungs­be­wusste Handeln des sowje­ti­schen Offiziers Stanislaw Petrow einen Atomkrieg verhin­derte. Sobald also ein atomarer Angriff angezeigt wird, stehen Regierung und Militär unter extremem Zeitdruck vor einer verhäng­nis­vollen Entscheidung: Abwarten – oder zurückschlagen, und damit eine Ketten­re­aktion auslösen, die im Zweifel die Menschheit vernichtet?

3. Wer entscheidet über den Einsatz von US-Atomwaffen?

Der Befehl zum Einsatz von US-Atomwaffen liegt beim Präsi­denten als Oberbe­fehls­haber. Ihm liegen ausge­ar­beitete Szenarien für den Einsatz vor, die die Anzahl und Art der einge­setzten Waffen und eine Liste poten­zi­eller Ziele enthalten. Der gültige Befehls­wortlaut wird über den „nuclear football“ (Atomkoffer) an die ausfüh­renden Stellen (Raketen­basen, U‑Boot-Komman­danten, Bomber­staffeln etc.) übermittelt. Der Kriegs­mi­nister (Secretary of War) und weitere Ebenen der Befehls­kette werden einge­bunden, können den Befehl des Präsi­denten aber nicht blockieren oder verändern.

 

4. Hilft Raketen­abwehr gegen Atomwaffen?

Raketen­abwehr wird oft als mögliche Lösung zum Schutz vor Inter­kon­ti­nen­tal­ra­keten angesehen. So will US-Präsident Donald Trump mit „Golden Dome“ das teuerste Raketen­ab­wehr­system der Welt entwi­ckeln lassen. Ob Raketen­abwehr wirklich gegen Atomra­keten wirken kann, ist jedoch sehr fraglich. Bisherige Tests und Konzepte haben gezeigt, dass die Techno­logien zur Raketen­abwehr noch weit von einer zielfüh­renden Lösung entfernt sind. Laut der American Physical Society (APS) ist keine der getes­teten Methoden in der Lage, das US-ameri­ka­nische Terri­torium zuver­lässig vor einem Angriff mit Raketen zu schützen. Gleich­zeitig kann die Entwicklung von Raketen­abwehr sogar zu einem neuen nuklearen Wettrüsten führen. Diese Gefahr besteht dann, wenn Abwehr­systeme als strate­gi­scher Vorteil im „nuklearen Gleich­ge­wicht“ angesehen werden, den andere Länder durch die Entwicklung weiterer und schnel­lerer Atomra­keten auszu­gleichen versuchen. Damit birgt Raketen­abwehr die Gefahr, die Welt nicht sicherer, sondern noch insta­biler und unsicherer zu machen. Dies gilt umso mehr, wenn Abwehr­systeme, wie bei „Golden Dome“ geplant, auch im Weltraum statio­niert werden sollen.

 

5. Wie groß ist die Gefahr eines Atomkrieges heute?

Angesichts weltweiter Spannungen wird die Bedrohung durch Atomwaffen derzeit als äußerst hoch einge­schätzt. Laut der sogenannten „Weltun­ter­gangsuhr“ des Bulletin of the Atomic Scien­tists und Berichten des schwe­di­schen Friedens­for­schungs­in­sti­tutes SIPRI befinden wir uns in der gefähr­lichsten Phase seit dem Kalten Krieg. Zwei Drittel der Atommächte befinden sich derzeit in einem Krieg oder einem anhal­tenden Konflikt. Damit ist die Gefahr eines verse­hent­lichen – oder sogar beabsich­tigten – Atomkrieges erschre­ckend hoch.

 

6. Was wären die Folgen eines Atomkrieges?

Ein Atomkrieg hätte fürch­ter­liche humanitäre Folgen. Allein der Abwurf einer einzigen Atomwaffe mit der heute üblichen Spreng­kraft auf eine Metropole würde Millionen Tote verur­sachen. Medizi­nische Versorgung und Infra­struktur in der Region wären nicht mehr aufrecht zu halten. Ein regio­naler Krieg mit einer begrenzten Zahl von Atomwaffen würde das Klima desta­bi­li­sieren und die Nahrungs­mit­tel­pro­duktion weltweit drastisch verringern. Es besteht jedoch die große Gefahr, dass schon der Einsatz einer einzigen Atomwaffe zu Gegen­schlägen bzw. Angriffen anderer Atommächte führt. Daraus könnte eine nukleare Ketten­re­aktion entstehen, die das Ende der mensch­lichen Zivili­sation bedeuten würde. Sehr plastisch lassen sich die Zusam­men­hänge im Buch „72 Minuten bis zur Vernichtung“ der US-Journa­listin Annie Jacobsen nachlesen.

 

7. Was kann gegen die Bedrohung durch Atomwaffen getan werden?

Das Aktions­bündnis atomwaffenfrei.jetzt und ICAN (Inter­na­tional Campaign to Abolish Nuclear Weapons) setzen sich aktiv dafür ein, die Bedrohung durch Atomwaffen zu verringern. Mit Infor­ma­tionen, Aktionen und Lobby­arbeit streiten wir für nukleare Abrüstung, ein atomwaf­fen­freies Deutschland und die Umsetzung des Atomwaf­fen­ver­bots­ver­trages. Dabei arbeiten wir Hand in Hand mit einem weltweiten Netzwerk von Organi­sa­tionen und Gruppen. Und wir haben schon viel erreicht: 99 Staaten haben den Atomwaf­fen­ver­bots­vertrag bereits unter­zeichnet! Auch deine Unter­stützung ist wichtig, damit wir dem Ziel einer Welt ohne Atomwaffen noch näher kommen!